"Tschu! Tschu!" animiert das kirgisische Pferd theoretisch dazu, schneller zu laufen. Praktisch lässt sich dieses ein paar Sekunden lang anmerken, dass es den Befehl kennt und fällt dann zurück in den alten Trott, der eben kein Trott ist. Gar Galoppieren? Einmal pro Vollmond und bloss unter Protest. Note to self: Reiten in touristischen Gebieten besser anfangs Saison, wenn die Pferde noch frisch sind. Eveline fühlt sich im Schlafwagen und läuft meist lieber nebenher. Die Gegend ist aber schön, und der grosse Song Kul See hat in seiner wilden Weite etwas absolut magisches, vor allem in den farbenfrohen Zeiten wenn die Sonne auf- oder untergeht, und beim ersten Anblick von der Passhöhe.
Im Kökömeren-Tal holpern wir gefühlt ständig abwärts, der Fluss fliesst trotzdem in die andere Richtung. Unten, äh, oben angekommen finden wir uns an besserer Strasse stehend, hier bringt uns nur Autostopp weg. Nach fünf Minuten werden wir schon aufgeladen von einem Shared Taxi, das uns direkt 10 Stunden bis in den deutlich muslimischeren Süden Kirgistans und dessen Hauptstadt Osh kutschiert. Danach fährt er noch ca. 5 Stunden weiter durch die Nacht - bei uns kriminell, hier offensichtlich normal. In Osh wollen wir die Fahrt über den Pamir Highway organisieren, einer der sagenhaftesten Roadtrips der Welt.
Über 1300 Kilometer, auf Teer, meist löchrigem Teer, Kies, teilweise Sand, führt dieser Teil der Seidenstrasse entlang harscher Landschaft und harscheren Lebensbedingungen durch die ansonsten kaum passierbaren Pamir Berge nach Dushanbe, der Hauptstadt Tadschikistans (oder weiter nach Usbekistan oder Afghanistan, die Definition ist fliessend). Nachdem sich zu meinem Missmut die Self-Drive Optionen als ebenso teuer oder sogar teurer herausgestellt haben und die Grenzkontrollen grenzwertig sein sollen, mieten wir einen 4wd mit Fahrer für 9 Tage, zusammen mit den Münchnern Alex & Dany und dem polyglotten Amerikaner Elvis, die wir in Osh kennenlernen und die alle auch am 23igsten aus Dushanbe weiterfliegen. Pro Person bezahlen wir $260, exkl. unser Essen und Unterkunft, was aber mit ca. $20/Tag billig bleibt. Leider muss bei 6 Personen im Auto jemand auf der Strafbank hinten im Auto sitzen, die wegen LPG Tank kaum Fussraum hat. Ich empfehle rückblickend den Platz und die Kosten weniger stark zu teilen.
Der Pamir liegt hoch, ein guter Teil davon über 4000m, entsprechend geht auch hier die Touristensaison zu Ende. Bereits am zweiten Morgen erwachen wir am Fusse des Pik Lenin (7134m) in einer Jurte, die in einen Schneeschleier gehüllt ist. Über den ersten 4000er Pass der Strecke gelangen wir nach Tadschikistan und zum Karakul See, was für mich der wohl landschaftlich schönste Ort ist, den ich in meinem Leben gesehen habe. Die Farben hier sind exoplanetar, hirnverrückend, foto-orgisch.
Am nächsten Morgen lasse ich meine Kamera (in der Tasche) fallen, normalerweise kein Problem, ich schaue nicht mal nach einem möglichen Schaden. Doch das nächste Bild ist komplett schwarz, und die Linsenkappe ist wieder mal futsch. Ein paar herzschlagaussetzende Bilder später, nur noch ein schwarzer Rand unten. Shutterproblem, ächz. Könnte schlimmer sein. Einen Tag durchs wunderbare Tal zum touristenfreien Rangkul, einige schwermütige bittersüsse schwarzrandige Bilder später, repariert sich der Shutter dank Spiegel zurückklappen und daran herumfiguretlen. Freudentanz!
In Murghab findet der Markt in etwas gar garstig anmutenden alten Frachtcontainern statt, immerhin Recycling. Wir werden minus Elvis in einem einsamen Tal zum Wandern ausgesetzt. Rauf und dann runter ins andere Tal, etwa 4 Stunden, lautet die detaillierte Streckenbeschreibung. Leider hat es geschneit, wir sehen keinen Weg, aber vielleicht kommt das noch, denken wir. Andere, weniger alpinerprobte Leute haben das bestimmt auch schon gemacht, denken wir. Sonst denken wir nicht viel. Was kommt ist ein Kessel, der überall zu steil zum Erklimmen scheint, wir zweifeln ob es hier irgendwo lang geht. So schnell gibt ein Älpler nicht auf. So schnell läuft auch ein Älpler nicht mehr rauf, über 4500m. Ich finde Hänge, die gerade noch gehen. Nach etwa drei Stunden sind wir endlich auf dem Grat. Zuerst freue ich mich über die Aussicht und die trockenere Südseite. Dann sehe ich langsam, dass es überall zu steil ist. Geröllhang, kaum Halt. Traversieren auf schmalem Murmeltierpfaden, würde an verschneiten Klippen vorbeiführen. Wir besprechen es, einigen uns auf's Umkehren, was auch nicht ohne ist, aber immerhin nicht lebensgefährlich. Ich habe Elvis gesagt, wenn wir es nicht bis 14:00 rüber schaffen, müssen sie uns diesseitig abholen kommen. Um 14:30 sind wir wohlbehalten unten. Unser Fahrer Bacha und Elvis sind nicht in Sicht, brauchen wohl noch eine Weile. 15 Kilometer bis zur Hauptstrasse, kein Netz. Besser wir laufen los, ihnen entgegen. Drei Stunden später laufen wir immer noch, stapfen inzwischen Richtung Delirium, das Tal ist endlos. Es haben sich langsam Schreckensszenarien in unsere müden Köpfe geschlichen, Bacha mit unseren Sachen am zurück nach Kirgistan fahren, Elvis irgendwo im Strassengraben. Dummes Zeug.
Dann eine langersehnte Staubfahne hinter uns, ein UAZ Kleinlaster mit Gestrüpp und Kuhdung, wahrscheinlich Heizmaterial. Wir dürfen nach Murghab mitfahren, aber wo sind Bacha und Elvis? Zurück beim Hostel in Murghab ruft die Landlady Bacha an. Ich bekomme den Ausgang des Telefonats nicht mit, denn ich realisiere, dass mir das Handy im Laster aus der Hosentasche gefallen ist. Was für ein Tag. Sie fuhren Richtung Markt, sagt Dany. Ich nehme die Verfolgung auf, rennend. Gerade noch wollte ich keinen Schritt mehr tun. Beim Markt keine Spur von ihnen. Verwinkelte Strassen, amüsierte Blicke. Ich klopfe bei einer Mutter mit fünf Kindern an, in ihrem Hinterhof habe ich sowohl einen ähnlichen Laster wie die Pflanzen erspäht, ist aber nicht der Gleiche. Ich schaue trotzdem auf die Ladefläche, während ich mit gebrochenem Russisch und Zeichensprache versuche die Geschichte zu erklären, sehe mich in diesem Moment aus ihrem Augen und muss über diesen verrückten Ausländer lachen, was der Verrücktheit bestimmt keinen Abbruch tut. Einige weitere Fehlalarme später gebe ich auf, zurück zum Hostel. Dort sehe ich Bacha gerade einfahren, und habe schon fast Frieden geschlossen mit dem verlorenen Gerät. Dann drückt er es mir in die Hand. Nun war offenbar der Laster unten am Hostel entlang zurückgefahren, Eveline sah ihn und jagte ihm mit Bacha im Auto blitzartig nach, welcher den Laster filmreif wegabschneidend zum Stehen zwang, und den armen verwirrten Bauern auf den Pelz rückte indem er sie forsch befragte wo sie das Mobiltelefon versteckt hätten. Schliesslich fand es sich zuunterst auf der Ladefläche. Bacha und Elvis haben die Abmachung falsch verstanden und uns voller Sorge zwei Stunden lang auf der anderen Seite gesucht. Wir vermuten, im falschen Tal abgesetzt worden zu sein. Gegenseitige Vorwürfe weichen aber sofort der allgemeinen Erleichterung, denn alle haben nun alles und einander wieder, so guet. Keine Kraft mehr für Freudentanz, wir fahren durch die Nacht nach Alichur.
Im Kirgistan und Tadschikistan, das ich gesehen habe, herrschen nicht gerade die besten hygienischen Bedingungen. Oft fehlen bei Tee und Konfibrot genügend Geschirr und Besteck, um alle Essenden zu trennen. Zudem sind die Reisenden grossen Höhen- und Temperaturschwankungen ausgesetzt. Nach rund einem Monat Zentralasien holte mich die beobachtete Welle an Magenproblemen und Erkältungen doch noch ein, und liess mich für einen Tag komplett geschwächt zurück. Bacha, der von Beruf Anästhesist ist und nur den Pamir Highway fährt, weil er dabei mehr verdient und den ganzen Winter frei hat, wollte mir eine Spritze setzen, was ich dankend ablehnte. Direkt anschliessend explodierte nach einem neuerlichen Kontaktlinsenversuch meine latente Augenentzündung, und ich entdeckte einen weissen Punkt am Rand meiner Iris. Zeit für einen Doktor, aber die nächste grössere Stadt Dushanbe war noch einen Parforceritt von 14 Stunden entfernt. Also erstmal Antibiotikatropfen aus der Apotheke auf Verdacht. Als die Apothekerin in einem kleinen Kaff bedeutete, es habe um die Ecke eine Klinik samt Augenarzt, trauten wir unseren Ohren nicht. Die Ärztin machte denn auch einen sehr kompetenten Eindruck, was nicht heisst dass ich nicht zögerte, als sie mit anästhetischen Tropfen und einer Nadel zum "Putzen" des Auges auf mich losging.
Es fällt mir schwer, die letzten paar Tage auf dem Pamir von diesen gesundheitlichen Angelegenheiten zu trennen, aber auch die Anderen schienen die Überdosis an Eindrücken, Bergen und rüttelnder Fahrt zu spüren. Zwei volle Tage Regeneration im schönen und friedvollen Dushanbe, und ich habe immer noch Mühe, die Fotos anzuschauen und auszusortieren. Man sollte sich mehr Zeit nehmen für diese Strecke, und sie selber fahren. Die Strassenbedingungen sind anstrengend aber lassen dies durchaus zu. An Orten bleiben, die ein ursprüngliches Banya mit Ofen und Waschplatz haben, anstatt halb funktionstüchtige neuere Installationen. Möglicherweise das Wakhan Valley weglassen oder durch das Bartang Valley abkürzen.
Seit ein paar Tagen bin ich in Seoul und kann Fotos wieder anschauen ohne dass mir flau wird. Ich war auch beim Augenarzt und habe den schlechten Bescheid erhalten, ich könne grundsätzlich keine Kontaktlinsen mehr benützen, was sehr mühsam ist. Deshalb trage ich mich momentan mit dem Gedanken, in Südkorea oder Japan zu lasern... keine einfache Entscheidung.
Eveline ist gut zuhause angekommen, würde aber lieber weiterreisen.
Dienstag, 26. September 2017
Dienstag, 12. September 2017
Cool Ala-Kul
Nachdem wir den Kirgisischen Nationalfeiertag noch in Bishkek verbrachten, ging es per Shared Taxi nach Karakol im Osten. Shared Taxis bieten meist vom Busbahnhof aus Mitfahrgelegenheiten, was sich als Armutszeugnis für die öffentlichen Verkehrsmittel verstehen lässt (es gibt kaum Züge, bloss unbequeme und teilweise vollgestopfte Minibusse, die vielerorts halten). Shared Taxis werden vor allem von Leuten angeboten, die darauf angewiesen sind die Kosten zu teilen, daher haben die Autos generell zu viele Insassen und zu wenige Sicherheitsgurte, das Lenkrad auf der falschen Seite, den obligaten Sprung in der Windscheibe, und einen Fahrer der zu schnell fährt und kein Wort Englisch spricht. Der Fahrpreis ist dafür teilweise lächerlich tief, für die ca. 6 Stunden Fahrt bezahlten wir je 9 Franken.
In Bishkek hatte ich von jemandem gehört, dass Lastwagen in Kirgistan eigentlich immer anhalten für Autostopper, und so zögerte ich nicht, zurück auf der Hauptstrasse ankommend einen ächzenden rostblauen Kiestransporter zuzuwinken. Es folgte einer der lebendigsten und erfülltesten Momente dieser Reise bisher, was wohl schwerlich in Textform oder sonst irgendwie nachvollziehbar rüberzubringen ist. Zusammen mit den Rucksäcken ein rüttelndes Führerhaus gezwängt, gegen vorne kaum Sicht, den Motorengestank in der Nase, links der stille kaukasische wettergegerbte Fahrer, rechts das Ufer des riesigen Issyk-Kul See vorbeiziehend. Den Motor übertönend Musik, die nicht besser zu diesem Moment aus einer anderen Zeit hätte passen können. Unter anderem L’Ete Indien von Paul Mauriat (es lebe Shazaam!;), das Original stammt von Joe Dassin, ist unten abspielbar.
Wir gingen im ziemlich kalten, leicht salzigen und sehr klaren See baden, gegen Abend blieben wir im Dorf Bokonbayevo. Dort strömten an diesem Tag gerade zahlreiche Touristen zusammen, um am nächsten Tag dem Salburun beizuwohnen, einem Festival der kirgisischen Traditionen und Kultur. Wir hatten schon davon gehört, und liessen uns von der enthusiastischen Hostess schliesslich trotz gewisser Skepsis überzeugen, dass man dies nicht verpassen sollte. Die ästhetisch ansprechenden Vorführungen mit Adlern, Bogenschützen und Reitspielen zum Ende hin entschädigten grösstenteils für organisatorische Unfähigkeiten und einen harzig verpäteten Beginn, wirre Reden (auch von Sponsoren, einem katarischen Scheich und einem neuseeländischen Vertreter von USAID), eindeutig marketingorientierten Abläufen (gefilmt wurde vor allem das Publikum) und leicht fremdschämige Darbietungen. Die Rückfahrt war ein tragisch-komisches Sinnbild der Organisationsschwierigkeiten, mangels verfügbaren Taxis wurden wir zur Freude aller einheimischen Passanten mit anderen Touris in einem Viehtransporter zurückgekarrt.
Kroatisch-deutsche Vater und Sohn nahmen uns vom Hostel in Bokonbayeva fast bis Kochkor mit, von wo aus wir einen dreitägigen Horsetrek unternommen haben, davon bald mehr.
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