Mittwoch, 23. Mai 2018

Royal

Weil der Blazer nicht im Rucksack Platz findet, war ich kleidermässig auf Hilfe angewiesen, um Sophie an die Beerdigung ihrer Grossmutter und an eine Hochzeit zu begleiten. Jacke und Hemd von ihrem Vater, Hose und Gürtel vom 60jährigen Nachbarn, Schuhe vom Freund einer Freundin... passt scho. Auf dem Weg zur Beerdigung begaben wir uns auf die Spuren unserer ersten Begegnung in Bellingen, was gleichzeitig schön und ein bisschen surreal war. Danach besuchten wir Nitya und Kailash, die mir jedes Mal ein bisschen mehr ans Herz wachsen. Die Hochzeit unweit von Mudgee war eine der schönsten, die ich bisher erlebt habe. Die Zeremonie fand inmitten eines Weinguts statt, unter prachtvollen Bäumen, bei perfektem Wetter. Braut und Bräutigam haben sich auf Tinder kennengelernt und gingen inspirierend damit um - vielleicht sind wir langsam über das Zeitalter hinaus, wo ein erster Kontakt über das Internet stigmatisiert und verschwiegen wird. Die Reden waren echt humorvoll und es blamierte sich keiner dabei, das Essen war super, und die tanzende Musik war geprägt von australischen Klassikern aus den 80ern und 90ern. Das Ganze kam mir ein bisschen vor wie im Film, wozu wahrscheinlich auch die englische Sprache beitrug. Einziger Wehrmutstropfen in Mudgee blieb das Bed&Breakfast, wo wir im fairy room (Feenraum) schlafen mussten, einer rosa Sardinenbüchse mit einem Bett weicher als alte Bananen. Einen roten Nagellackunfall auf den Bettlaken und eine Feenfigur mit gebrochenen Armen später waren auch die Gastgeber schlechter Laune.

Sonst gehen wir oft laufen, waren im empfehlenswerten Royal National Park (der zweitälteste Nationalpark der Welt nach Yellowstone) und an den Figure Eight Pools, in den Blue Mountains, und auf vielen anderen Küsten- und Buschspaziergängen. Sydney aus dieser Warte betrachtet ist eine komplett andere Stadt, als wenn man als Tourist vorwiegend im Zentrum oder in Glebe rumhängt. Die Natur ist beeindruckend, überall hat es Meeresarme, spannende Klippen und Strände, zwischen Manly und Shelly Beach lässt sich inmitten von Fischfarbigkeit bestens Schnorcheln. Nur der Verkehr ist hart zu ertragen. Beim Überqueren der Harbor Bridge (oder im Tunnel) fallen jedesmal Mautgebühren an. Das verrückteste daran ist, dass die 99km an Mautstrassen nicht dem Staat gehören, sondern privaten Firmen, die nun natürlich ständig die Maut erhöhen, um mehr Profit daraus zu schlagen. Öffentliche Verkehrsmittel sind ebenfalls teuer, und zu wenig gut ausgebaut, um eine gute Alternative zu sein. Die Idiotie der Privatisierung lässt sich auch in der Bildung gut beobachten. Private Schulen sind deutlich höher angesehen als die öffentlichen, kosten ein Vermögen (6'000-22'500 CHF pro Jahr), und können frei gewählt werden (was zum Verkehrsproblem beiträgt). Noch teurer sind die Universitäten, mit etwa 8'000-28'000 CHF pro Jahr. Viele Universitätsabgänger sind tief verschuldet, die Kinder reicher Eltern sind in diesem System deutlich bevorzugt. Eine soziale Katastrophe. Und es gibt immer noch Leute, die für einen schwachen Staat lobbieren, denken möglichst viel Privatisierung bringe Vorteile, und bloss Politiker wählen, welche versprechen die Steuern zu senken.

Ich habe mich weiter mit Bruce Pascoe's Buch beschäftigt, und habe einige seiner Quellen in Form von Entdecker-Tagebüchern hier nachgelesen, eine faszinierende Lektüre. Mein Fazit daraus ist, dass es nicht eindeutig ist, ob Aborigines Landwirtschaft betrieben haben oder nicht. Pascoe pickt ganz klar Rosinen, und interpretiert teilweise unausgewogen.

In der Zwischenzeit haben wir leider bauchwehende Nachrichten erhalten: Sophie's Antrag auf ein Studentenvisum ist in erster Instanz abgelehnt worden, vorwiegend weil ein obskurer Paragraph im Ausländergesetz besagt, dass an über 30jährige im Normalfall kein Visum zur Ausbildung erteilt wird. Wir sind in Kontakt mit den Behörden und hoffen immer noch auf einen positiven Bescheid.

Das ursprünglich gekaufte Auto an der Gold Coast sorgte auch weiterhin für Drama. Dan verschleppte komplett alles, und wir waren kurz davor ernsthafte Schwierigkeiten miteinander zu kriegen. Doch nun haben wir das Auto doch noch verkaufen können, was meinen finanziellen Verlust einigermassen in Grenzen hält, und dieses unsägliche Kapitel versöhnlich abschliesst.

Wenn ich nicht am rumreisen bin, fühlt es sich weniger an, als hätte ich viel zu erzählen, aber ein paar Fotos gibt es trotzdem, hier hinzugefügt und hier. Sicher ist der Aufenthalt in Sydney mit Sophie (der wie im Fluge vergeht), eine gnädige Art die Post Travel Depression abzufedern. Trotzdem freue ich mich inzwischen sehr aufs nach Hause kommen. Euch wiederzusehen, und die Berge, Aare, längere Tage, ... bis bald!

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